Big Four unter Druck: Wenn KI das Geschäftsmodell erschüttert

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December 7, 2025
08.12.2025
3 Minuten Lesezeit

Künstliche Intelligenz demokratisiert Expertenwissen und stellt die Daseinsberechtigung von Deloitte, EY, KPMG und PwC grundsätzlich infrage.

Die Bedrohungslage

Was passiert, wenn das Kernprodukt einer Branche frei verfügbar wird? Diese Frage beschäftigt derzeit die Professional Services. KI automatisiert Routineaufgaben, beschleunigt Analysen und ermöglicht Unternehmen, komplexe Aufgaben intern zu erledigen, für die sie bislang externe Berater beauftragten. „In dem Moment, in dem Informationen im Internet oder öffentlich verfügbar sind, ist es absolut nicht mehr von Vorteil, Mitarbeiter für die Beschaffung von Berichten einzustellen, da man innerhalb weniger Minuten einen hervorragenden und umfassenden Bericht von ChatGPT erhalten kann", sagt Olivier Khatib, KI-Analyst und CEO von Dataneo.

Die Gegenposition: Vertrauen lässt sich nicht automatisieren

David Capocci, Managing Partner bei KPMG Luxemburg, hält dagegen. Die Mandanten zahlten nicht primär für Wissen, sondern für Absicherung: „Was für sie relevant und wichtig ist – und Teil ihrer allgemeinen Governance- und Risikomanagement-Prozesse ist – ist sicherzustellen, dass eine externe Partei die Position, die sie einnehmen, bestätigt und ihnen Sicherheit gibt." Die Zahlen stützen diese Sicht vorerst. EY Luxemburg verdoppelte seinen Umsatz innerhalb von fünf Jahren nahezu. Alle vier Häuser melden robuste Neueinstellungen.

KI-Eigenentwicklung: Mehr Schein als Sein?

Sämtliche Big Four investieren in eigene KI-Plattformen. Deloitte Luxemburg ernannte kürzlich einen Partner für Intelligente Automatisierung. KPMG entwickelte ein Framework, das isoliert vom Internet an Kundendaten arbeitet. Doch Khatib relativiert: „Sie entwickeln eigentlich keine KI-Modelle selbst." Die Basismodelle stammen von Google, OpenAI, Anthropic oder Mistral AI. „Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass irgendjemand außer diesen großen Unternehmen seine eigene KI entwickelt." Die Risiken zeigten sich bereits konkret: Deloitte Australia erstattete der Regierung einen Teil der 440.000 australischen Dollar für einen Bericht, der KI-generierte Fehler enthielt, darunter ein gefälschtes Zitat und Verweise auf nicht existierende Forschungsarbeiten.

Regulatorische Unwägbarkeiten

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: die politische Entwicklung in den USA. Die Eingliederung des PCAOB in die SEC könnte Deregulierungstendenzen verstärken. „Es würde mich nicht überraschen, wenn er die Prüfungs- und Beratungsaspekte wirklich zu einer wettbewerbsfähigeren Branche führen würde", prognostiziert Khatib mit Blick auf die Trump-Administration. Europa dürfte fünf Jahre oder mehr hinterherhinken, dann aber nachziehen.

Von den Big Four zu den Medium Twenty?

Capocci bleibt optimistisch, räumt aber Verschiebungen ein: weniger Mitarbeiter auf unteren Ebenen, mehr auf Führungsebene. Die Abrechnung verlagere sich von Arbeitsstunden auf Wertschöpfung. PwC-KI-Chef Dan Priest bestätigte bereits Preissenkungen durch Effizienzgewinne. Khatib zeichnet ein radikaleres Bild: „In fünf bis zehn Jahren würde es mich nicht wundern, wenn die Big Four nicht mehr die Big Four sind. Es sind eher die 'Medium Twenty' oder die 'Big Twenty', weil jeder einen solchen Dienst anbieten kann."

Das Fazit der Beteiligten

„Solange unsere Kunden Menschen sind oder es einige Menschen bei unseren Kunden gibt, werden sie die Beziehung, die vertrauensvolle Beziehung, die wir aufbauen können, schätzen", so Capocci. Khatib warnt hingegen: „Es ist eine große Bedrohung, und die einzigen, die überleben können, sind diejenigen, die anfangen, es zu übernehmen, es vollständig zu verstehen und es vollständig zu nutzen."