EuGH: Innergemeinschaftliche Lieferungen trotz fehlender Nachweise steuerfrei

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December 18, 2025
19.12.2025
2 Minuten Lesezeit

EuGH-Urteil C-639/24 verpflichtet Finanzbehörden zur Prüfung aller Nachweise bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, doch objektive Zweifelsfreiheit bleibt eine hohe tatrichterliche Hürde.

Substanz vor Form bei Steuerbefreiung

Der EuGH entschied am 13. November 2025 (C-639/24, FLO VENEER), dass formelle Nachweislücken die Mehrwertsteuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen nicht automatisch ausschließen. Das kroatische Unternehmen FLO VENEER d.o.o. lieferte Eichenstämme nach Slowenien und beantragte Steuerbefreiung. Das kroatische Finanzministerium verweigerte diese am 8. Oktober 2020, nicht weil die physische Beförderung bestritten wurde, sondern weil die Dokumentation Art. 45a Abs. 1 Buchst. b der Durchführungsverordnung Nr. 282/2011 (VO Nr. 282/2011) nicht entsprach.

Art. 45a VO Nr. 282/2011 als Vermutungsregel, nicht Abschlussliste

Der EuGH stellte klar: Art. 45a VO Nr. 282/2011 zählt Fälle auf, in denen die Vermutung gilt, dass Gegenstände innerhalb der Union versandt wurden, keine abschließende Liste erforderlicher Nachweise. Wenn diese Vermutungsvoraussetzungen nicht greifen, müssen Steuerbehörden jeden vorgelegten Beleg würdigen und prüfen, ob er eine innergemeinschaftliche Lieferung belegt. Die EuGH-Rechtsprechung verbietet, dass formelle Anforderungen materielle Befreiungsansprüche zunichtemachen.

Deutsche Rechtslage: Objektive Zweifelsfreiheit als Rettungsanker

Für deutsche Mandate gilt: Verstöße gegen § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV führen zur Steuerpflicht, es sei denn, objektiv zweifelsfrei steht fest, dass Steuerfreiheitsvoraussetzungen erfüllt sind (BFH-Urteil vom 12. Mai 2009 – V R 65/06, BStBl. II 2010, 511). Die Ausnahme greift nicht, wenn der Nachweisverstoß verhindert, dass materielle Anforderungen sicher nachgewiesen werden (EuGH-Urteil vom 27. September 2007, C-146/05, BStBl. II 2009, 78, Collée). Ob § 6a Abs. 1 UStG objektiv zweifelsfrei erfüllt ist, obliegt tatrichterlicher Überzeugungsbildung, die revisionsrechtlich nach § 118 Absatz 2 FGO weitgehend unangreifbar bleibt (BFH-Urteil vom 11. August 2011, V R 50/09, BStBl. II 2012, 151). Praktisch bedeutet dies: Fehlende Nachweise lassen sich ausgleichen, wenn § 6a Abs. 1 UStG zweifelsfrei vorliegt. Da dieser objektive Nachweis schwer zu führen ist, bleibt strikte Beachtung der Beleg- und Buchnachweise nach §§ 17 UStDV ff. unverzichtbar. Das EuGH-Urteil stärkt zwar die Position von Unternehmen mit Dokumentationslücken, verlagert aber Beweislast auf umfassende Darlegung materieller Erfüllung: ein anspruchsvoller Standard im finanzgerichtlichen Verfahren.