Sachverständigenrat uneins: Erbschaftsteuer spaltet, Cashflow-Steuer eint

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November 14, 2025
14.11.2025
4 Minuten Lesezeit

Der Sachverständigenrat liefert Merz ein kontroverses Gutachten – während Grimm mit ihrem Veto gegen Betriebsvermögen-Privilegien isoliert bleibt, könnten ACE-Steuer und Cashflow-Besteuerung das BIP um bis zu 11 Prozent steigern.

Grimm isoliert sich mit Veto gegen Erbschaftsteuerreform

Der Sachverständigenrat Wirtschaft übergab am Mittwoch sein Jahresgutachten an Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) – mit bemerkenswerter interner Spaltung. Vier von fünf Wirtschaftsweisen schlagen vor, die umfassenden Begünstigungen für Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer „deutlich einzuschränken". Einzig Veronika Grimm lehnt die Reform ab. Bislang können bei Betrieben unter 26 Millionen Euro Wert zwischen 85 und 100 Prozent des Vermögens von der Erbschaftsteuer befreit werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die Ratsmehrheit will diese Verschonung streichen und stattdessen Stundungen deutlich ausweiten – bereits jetzt für bis zu sieben Jahre möglich.

Für Betriebsvermögen über 26 Millionen Euro schlagen die vier Sachverständigen vor, die „Verschonungsbedarfsprüfung" abzuschaffen, die nachträglichen Erlass ermöglicht. Falls die Prüfung bleibe, müsse ein Mindeststeuersatz von 15 Prozent gelten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) taxiert die jährlichen Mehreinnahmen auf 7,8 Milliarden Euro. Beim Bundesverfassungsgericht ist derzeit ein Verfahren anhängig, das die Ungleichbehandlung von Betriebs- und Privatvermögen infrage stellt.

Grimm: „Geradezu fahrlässig angesichts schwacher Investitionstätigkeit"

Grimm führt ihr Minderheitsvotum schriftlich aus: Die Belastung für Betriebe könne erheblich sein und Investitionen negativ beeinflussen. „Angesichts der aktuell schwachen privaten Investitionstätigkeit und der geringen Wachstumsaussichten erscheint der Vorschlag geradezu fahrlässig", sagte sie dem Handelsblatt. Auch Stundungen würden nicht helfen: „Das ändert nichts daran, dass die Unternehmen dann weniger Spielraum für Investitionen haben." Die Kreditwürdigkeit sinke.

Achim Truger konterte bei der Pressekonferenz: „An Fahrlässigkeit kann ich bei uns nicht viel erkennen. Wir sprechen die Probleme an." Im Gutachten heißt es, es sei „unklar, wie gravierend das Problem des Liquiditätsentzugs" sei, allerdings seien „nur geringe Verhaltensanpassungen zu erwarten". Grimm fordert, Ausnahmen für Betriebe nur mit Einführung einer „Flat Tax" zu streichen – eine Einheitssteuer für alle Erbschaften unabhängig von Vermögenshöhe oder Verwandtschaftsgrad. Die Ratsmehrheit lehnt ab: es bestehe ein Risiko sehr niedriger Steuersätze.

Cashflow-Steuer könnte BIP um 11,3 Prozent steigern

Bei Unternehmensteuern herrscht Konsens: Alle fünf Wirtschaftsweisen unterstützen „neutrale Besteuerungsansätze", die Anreize für zusätzliche Investitionen setzen, ohne die Steuerlast automatisch zu erhöhen.

Der Rat bringt zwei Optionen ins Spiel:

Allowance for Corporate Equity (ACE): Die Bemessungsgrundlage wird um Eigenkapitalkosten reduziert – geschätzt anhand des Marktzinses. Eigenkapital und Fremdkapital würden gleichbehandelt. Das Ifo-Institut prognostiziert langfristig 3,6 Prozent höhere Investitionen, 2,1 Prozent BIP-Wachstum, 244.000 neue Stellen.

Cashflow-Steuer: Unternehmen könnten Investitionen sofort zu 100 Prozent abschreiben statt anteilig über Jahre. Das Ifo-Institut prognostiziert 25,2 Prozent höhere Investitionen, 11,3 Prozent BIP-Wachstum, 1,48 Millionen neue Stellen.

Das Problem: Die Cashflow-Steuer würde kurzfristig die Wirtschaftsleistung einbrechen lassen und dem Staat in den ersten zehn Jahren 77 Milliarden Euro entgehen, bevor zusätzliches Wachstum für Mehreinnahmen sorgt. Truger zeigte sich skeptisch: „In der Realität würde ich dem Ganzen nicht besonders trauen. Für mich ist die Idee aus der Welt." Grimm widersprach: „Ich halte das für mehr als ein wissenschaftliches Experiment." Angesichts der wirtschaftlichen Lage sei es „eine wichtige Aufgabe des Sachverständigenrats, da Anstöße zu geben".

Der Rat prognostiziert 0,2 Prozent BIP-Wachstum 2025, 0,9 Prozent 2026 – wovon ein Drittel auf zusätzliche Staatsausgaben für Infrastruktur und Verteidigung entfällt.