Zwei-Fronten-Angriff auf deutsches Fremdbesitzverbot nimmt Fahrt auf

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November 17, 2025
17.11.2025
3 Minuten Lesezeit

Bucerius-Professor Kämmerer attestiert EuGH-Urteil Europarechtswidrigkeit, während Kanzleiinhaber Halmer mit Hengeler Mueller den Gerichtsweg beschreitet – Investoren entwickeln parallel bereits konkrete Beteiligungsstrukturen.

PE-Boom endet an der Kanzleitür

Deutsche Steuerberatungen erleben einen Private-Equity-Goldrush: EQT stieg bei WTS ein, Cinven sicherte sich Grant Thornton Deutschland, Aurelius kaufte sich bei WZT München ein. Der Beratungssektor öffnet sich systematisch für externes Kapital – mit einer Ausnahme: Anwaltskanzleien bleiben außen vor. Das juristische Bollwerk heißt Fremdbesitzverbot. Der Europäische Gerichtshof zementierte diese Regelung vor zwölf Monaten: Anwaltliche Unabhängigkeit und Standespflichten rechtfertigen Einschränkungen bei Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehr. Doch zwei parallele Initiativen greifen diese Mauer jetzt frontal an.

Akademische Offensive: Kämmerer erklärt EuGH-Urteil für europarechtswidrig

Jörn Axel Kämmerer von der Bucerius Law School Hamburg liefert die theoretische Munition. Im Auftrag des Legal Tech Verbands Deutschland verfasste er ein Gegengutachten, das dem EuGH-Urteil fundamentale Europarechtswidrigkeit attestiert. Seine Beweisführung stützt sich auf empirische Evidenz aus Großbritannien und Australien: Dort existieren Kapitalbeteiligungen an Kanzleien seit Jahren, ohne dass die Beratungsqualität gelitten hätte. Gleichzeitig wächst der Investitionsbedarf deutscher Kanzleien durch Digitalisierung und KI-Integration. Ohne Zugang zu externem Kapital drohe internationaler Wettbewerbsverlust. Kämmerers Differenzierung: Kritisch seien Mehrheitsbeteiligungen jenseits von 50 Prozent – Minderheitsbeteiligungen hingegen ließen sich regulatorisch beherrschen.

Praktische Offensive: Halmer testet juristische Grauzone

Daniel Halmer wählte den konfrontativen Weg. 2021 verkaufte der Kanzleiinhaber 51 Prozent seiner Anteile an die österreichische Sive Beratung und Beteiligung – bewusst branchenfremd. Die bayerischen Behörden entzogen die Zulassung. Halmer akzeptierte das nicht. Sein juristischer Marathon führte vom Bayerischen Anwaltsgerichtshof bis nach Luxemburg. Die zentrale These aus Anwaltsschriftsätzen: Finanzinvestoren könnten sich mehrheitlich beteiligen, sofern sie in der Berufsausübungsgesellschaft „aktiv beruflich tätig" sind.

Dirk Uwer von Hengeler Mueller, Halmers prozessualer Vertreter: „Die materiell-rechtlichen Fragen im heutigen Rechtsrahmen bedürfen der Klärung. Dabei ist das seit 2022 erheblich veränderte Marktgeschehen auf den Rechtsdienstleistungs- und Steuerberatungsmärkten zu berücksichtigen." Moritz Quecke von GQL Rechtsanwälte, Halmers berufsrechtlicher Beistand: „Wirtschaftliche Beteiligung und anwaltliche Unabhängigkeit schließen sich nicht aus. Sie brauchen klare Leitplanken und verlässliche Aufsicht – genau diese Rechtssicherheit streben wir jetzt an."

PE-Industrie entwickelt bereits Strukturmodelle

Nach FINANCE-Informationen zirkulieren im deutschen Markt bereits ausgearbeitete Beteiligungsstrukturen für Kanzleien. Zusätzlicher Katalysator: McDermott Will & Schulte, mit vier deutschen Standorten präsent, prüft in den USA PE-Beteiligungsmodelle. Die Asymmetrie zwischen Steuerberatern und Anwälten wird unhaltbar. Halmers und Kämmerers Offensiven könnten das Fremdbesitzverbot schneller erodieren als Standesvertreter es für möglich halten.