Bucerius-Professor Kämmerer attestiert EuGH-Urteil Europarechtswidrigkeit, während Kanzleiinhaber Halmer mit Hengeler Mueller den Gerichtsweg beschreitet – Investoren entwickeln parallel bereits konkrete Beteiligungsstrukturen.
Deutsche Steuerberatungen erleben einen Private-Equity-Goldrush: EQT stieg bei WTS ein, Cinven sicherte sich Grant Thornton Deutschland, Aurelius kaufte sich bei WZT München ein. Der Beratungssektor öffnet sich systematisch für externes Kapital – mit einer Ausnahme: Anwaltskanzleien bleiben außen vor. Das juristische Bollwerk heißt Fremdbesitzverbot. Der Europäische Gerichtshof zementierte diese Regelung vor zwölf Monaten: Anwaltliche Unabhängigkeit und Standespflichten rechtfertigen Einschränkungen bei Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehr. Doch zwei parallele Initiativen greifen diese Mauer jetzt frontal an.
Jörn Axel Kämmerer von der Bucerius Law School Hamburg liefert die theoretische Munition. Im Auftrag des Legal Tech Verbands Deutschland verfasste er ein Gegengutachten, das dem EuGH-Urteil fundamentale Europarechtswidrigkeit attestiert. Seine Beweisführung stützt sich auf empirische Evidenz aus Großbritannien und Australien: Dort existieren Kapitalbeteiligungen an Kanzleien seit Jahren, ohne dass die Beratungsqualität gelitten hätte. Gleichzeitig wächst der Investitionsbedarf deutscher Kanzleien durch Digitalisierung und KI-Integration. Ohne Zugang zu externem Kapital drohe internationaler Wettbewerbsverlust. Kämmerers Differenzierung: Kritisch seien Mehrheitsbeteiligungen jenseits von 50 Prozent – Minderheitsbeteiligungen hingegen ließen sich regulatorisch beherrschen.
Daniel Halmer wählte den konfrontativen Weg. 2021 verkaufte der Kanzleiinhaber 51 Prozent seiner Anteile an die österreichische Sive Beratung und Beteiligung – bewusst branchenfremd. Die bayerischen Behörden entzogen die Zulassung. Halmer akzeptierte das nicht. Sein juristischer Marathon führte vom Bayerischen Anwaltsgerichtshof bis nach Luxemburg. Die zentrale These aus Anwaltsschriftsätzen: Finanzinvestoren könnten sich mehrheitlich beteiligen, sofern sie in der Berufsausübungsgesellschaft „aktiv beruflich tätig" sind.
Dirk Uwer von Hengeler Mueller, Halmers prozessualer Vertreter: „Die materiell-rechtlichen Fragen im heutigen Rechtsrahmen bedürfen der Klärung. Dabei ist das seit 2022 erheblich veränderte Marktgeschehen auf den Rechtsdienstleistungs- und Steuerberatungsmärkten zu berücksichtigen." Moritz Quecke von GQL Rechtsanwälte, Halmers berufsrechtlicher Beistand: „Wirtschaftliche Beteiligung und anwaltliche Unabhängigkeit schließen sich nicht aus. Sie brauchen klare Leitplanken und verlässliche Aufsicht – genau diese Rechtssicherheit streben wir jetzt an."
Nach FINANCE-Informationen zirkulieren im deutschen Markt bereits ausgearbeitete Beteiligungsstrukturen für Kanzleien. Zusätzlicher Katalysator: McDermott Will & Schulte, mit vier deutschen Standorten präsent, prüft in den USA PE-Beteiligungsmodelle. Die Asymmetrie zwischen Steuerberatern und Anwälten wird unhaltbar. Halmers und Kämmerers Offensiven könnten das Fremdbesitzverbot schneller erodieren als Standesvertreter es für möglich halten.





